Schlüsselfaktor Arbeitsbeziehung

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Praxis Kommunikation 4/2022<br />Einzelheft Wie können Coaches in der Beratung eine gute Arbeitsbeziehung herstellen und diese kontinuierlich weiter entwickeln? Das habe ich in einem Artikel für die Fachzeitschrift „PRAXIS KOMMUNIKATION“ des Junfermann Verlags aufgeschrieben. Hier ist der vollständige Text (auch zum Download), der zuerst in der PRAXIS KOMMUNIKATION Ausgabe 4/2022 erschienen ist.

 

 

 

Schlüsselfaktor Beziehung

Eine gute Verbindung zum Coachee trägt zum Erfolg des Beratungsprozesses bei. Eine Anleitung für die Praxis.

Von Stefanie Normann

 

Coach und Klient sitzen sich im ersten Beratungstermin gegenüber. Sie klären die Situation, formulieren gemeinsame Ziele und am Ende der Sitzung steht der psychologische Coaching-Auftrag. Beide verabreden sich für weitere Termine. Ob dieser Coaching-Prozess erfolgreich wird, liegt an verschiedenen Faktoren. Einer davon: eine tragfähige Arbeitsbeziehung zwischen Coach und Klient. Spontane Sympathie gehört sicherlich dazu, aber es liegt in der professionellen Verantwortung des Coachs, für die erforderliche Beziehungsqualität zu sorgen. Was also kann ein Coach konkret tun, um die Beziehung zu entwickeln und zu stärken – und so zum Erfolg des Beratungsprozesses beitragen?

 

Welche Rolle spielt „Beziehung“ überhaupt?

In vielen helfenden Professionen ist die Beziehungsqualität ein Schlüsselfaktor, der zum Erfolg beiträgt. In seinem Konzept der „Working Alliance“ verband Edward Bordin bereits 1979 die Beziehung mit einem anzustrebenden Ziel und gemeinsam abgestimmten Aufgaben. Neben gemeinsamer Zielvereinbarung, Ressourcenaktivierung und anderen Aspekten heben das Wirkfaktorenmodell von Klaus Grawe und die Wirkungsfaktoren von Siegfried Greif die Therapiebeziehung oder auch die wertschätzende Beziehung zwischen Coach und Coachee hervor. Für das Coaching hat Carolin Graßmann in einer Meta-Analyse 2019 nachgewiesen, dass die Beziehungsqualität mit den Coaching-Ergebnissen für den Klienten zusammenhängt.

 

Voraussetzungen für eine gute Arbeitsbeziehung

Bereits vor dem ersten Kontakt zwischen Coach und Klient werden einige Weichen gestellt, die die Beziehungsqualität beeinflussen können. Wichtig sind hier nach Ingo Steinke die Passung von Coach und Klient, geteilte elementare Prinzipien wie Vertraulichkeit, Freiwilligkeit, ein starkes Commitment sowie die vom Klienten wahrgenommene Kompetenz des Coachs.

Auch bestimmte äußere Rahmenbedingungen des Coachings erleichtern die Beziehungsgestaltung: Idealerweise hatte der Klient die Möglichkeit, den Coach selbst zu wählen. Diskretion ist wichtig und diese wird durch einen neutralen Ort noch unterstrichen. Transparenz schafft der Coach mit einer Erläuterung der Grundlagen seines Coaching-Ansatzes und des methodischen Vorgehens. Und auch ein Zeitrahmen, der einem Beziehungsaufbau genügend Raum lässt, ist hilfreich.

Der Deutsche Bundesverband Coaching (DBVC) definiert die Anforderungen an die sozial-kommunikativen Kompetenzen des Coachs explizit mit der Beziehungsfähigkeit, das heißt, der Fähigkeit, Verbindungen zu gestalten, Vertrauen zu bilden, soziale Orientierung zu geben und kooperativ zu sein. Dies wird ergänzt um Kommunikationsfähigkeit, Selbstsicherheit und Reflexibilität.

 

Stärkende Haltungen

Eine gute Leitlinie für das Beziehungsangebot des Beraters ist das Konzept der Klientenzentrierten Gesprächsführung nach Carl Rogers. Hier geht es um die persönliche Haltung des Coachs, mit der er dem Klienten begegnet, die Sabine Weinberger sehr praxisnah beschreibt. Der Berater soll in der Beziehung „kongruent“ sein und dem Klienten gegenüber „unbedingte Wertschätzung“ empfinden. Der Coach soll also authentisch sein, keine Rolle vorspielen und seine Person und sein Erleben in den Kontakt einbringen. Mit einer unbedingten positiven Beachtung zeigt der Coach, dass eine mögliche persönliche Bewertung von Verhaltensweisen des Klienten nichts an dessen Wert als Person ändert. Im sogenannten „empathischen Verstehen“ erfährt der Berater den inneren Bezugsrahmen des Klienten.

Wie ein Coach oder Berater mit sich selbst kongruent sein kann, ist eine Frage, die wir vermutlich ein Beraterleben lang immer wieder neu beantworten müssen. Neben einem soliden Selbstwertgefühl gilt es, die Sensibilität für die eigenen Empfindungen kontinuierlich zu schärfen. Dies kann durch Selbstreflexion und Supervision geschehen. Ein Ziel ist, die persönlichen Grenzen und Bezugsrahmen konstruktiv zu hinterfragen.

Mit unbedingter Wertschätzung bringt der Coach dem Klienten eine achtsame, urteilsfreie Aufmerksamkeit entgegen. Der Coach bemüht sich, den Klienten uneingeschränkt zu akzeptieren. Diese Fähigkeit hängt stark mit dem Verstehen des Klienten zusammen. Über ein besseres Einfühlungsvermögen ist auch mehr Wertschätzung zu erreichen.

Anhaltspunkte für unbedingte positive Wertschätzung als erlernbare therapeutische Kompetenz liefern Jürgen Dieker und Dieter Müller: Sich selbst als Coach fordern, sich bemühen ist eine Verhaltensweise, die mit großer Wahrscheinlichkeit vom Klienten bemerkt und anerkannt wird. Ähnlich wie beim Autogenen Training kann man sich mit der Formel „Ich akzeptiere dich, wie du bist“ bewusst für die unbedingte Wertschätzung öffnen. Mit einem ausgesprochenen Akzeptieren oder Erlauben kann jeder Moment geachtet und damit auch besser beachtet werden.

Das empathische Verstehen umzusetzen, ist fast noch die leichteste Übung für den Coach. Dabei hilft es, auf das Gefühl (statt auf den Inhalt) einzugehen – ebenso, wie sich darauf einzulassen, wie der Klient (und nicht der Coach) die Dinge sieht.

 

Mit Kommunikation die Arbeitsbeziehung vertiefen

 Das aufmerksame, interessierte und konzentrierte Wahrnehmen des Klienten ist also ein wichtiger Motor der Arbeitsbeziehung. Die gesamte Bandbreite des Aktiven Zuhörens, wie es von Friedemann Schulz von Thun beschrieben wurde, gehört dabei zum Repertoire des Coachs. Zunächst signalisiert der Coach, dass er zum Zuhören bereit ist. Die Tür wird geschlossen, das Handy beiseitegelegt und Blickkontakt aufgenommen. Während der Klient erzählt, nickt der Coach oder begleitet mit einem „ja“ oder „mmmh“.

Die Qualität des Zuhörens und damit der Zugewandtheit und des Verstehens zeigt sich für den Klienten in den Zusammenfassungen oder dem Spiegeln des Gesagten. Dies ist keine schnöde Wiederholung der Worte des Gegenübers, sondern eine Gelegenheit für den Klienten, sich selbst im Feedback des Coachs zu erkennen – oder eben zu widersprechen, konkretisieren oder präzisieren. Dabei geht es einerseits deutlich um die Inhalte, aber noch viel mehr um Gefühle und Emotionen, die der Klient vielleicht bisher so noch nicht benennen konnte oder zeigen mochte.

Auch körpersprachlich drückt sich das Interesse des Coachs aus: Blickkontakt nicht zu lange abbrechen lassen, freundliche Miene, eine offene und einladende Sitzhaltung, die gleichzeitig nicht zu offensiv ist, so beschreibt es Bettina Schubert-Golinski.

 

Beziehungsangebot kontinuierlich erneuern

Also stellen wir den Beziehungsaufbau im ersten Termin in den Fokus und danach bleibt es einfach so? Leider nein, denn die Gestaltung der Arbeitsbeziehung ist eine fortlaufende Angelegenheit, um die sich der Coach immer wieder neu bemühen muss. Idealerweise tut dies auch der Klient. Das bedeutet, dass sich auch nach einem guten Start eine Arbeitsbeziehung verschlechtern kann. Die gute Nachricht ist jedoch, dass ein kontinuierlich erneuertes Beziehungsangebot, welches auch stets vom Klienten angenommen wird, zu einem guten Ergebnis beiträgt. Es laufend zu aktualisieren, ist es die Aufgabe des Coachs.

Da die Beziehungsqualität ein Indikator dafür zu sein scheint, wie gut Coach und Klient zusammenarbeiten, könnte dies ein gutes Thema für die Supervision sein, meint Carolin Graßmann. Gleichzeitig zeigen die Ergebnisse der Meta-Analyse, dass die Perspektiven auf die Beziehungsqualität von Coach und Klient durchaus unterschiedlich sein können. Coaches sollten dies bei ihrem Vorgehen berücksichtigen und eine Einschätzung zur Beziehung regelmäßig neu einholen. Sollten also auch nur kleinste Anzeichen erkennbar sein, dass der Klient sich nicht verstanden fühlt oder kein Vertrauen hat, sollte das sofort Thema im Coaching sein.

 

Beziehung ist „Co-Kreation“

Der zu Anfang genannte Coachingprozess hat einige Termine durchlaufen und zwischen Coach und Klient ist in der gemeinsamen Interaktion eine tragfähige Arbeitsbeziehung entstanden. Sie haben sie kontinuierlich „co-kreiert“ und damit einen wichtigen Beitrag zum Erfolg der Beratung geleistet. Gerade in einer Arbeitswelt, in der nicht selten Zurückhaltung, Kontrolle oder sogar Misstrauen das gemeinsame Tun prägen, ist die gute Arbeitsbeziehung im Coaching für sich genommen bereits ein sehr besonderes Erleben für den Klienten – und damit ein Erfolg.

 

Reflexionsfragen für den Coach
  • Was ist für mich eine gute Arbeitsbeziehung? Was ist mein Anteil daran, diese zu entwickeln? Wo sind meine Grenzen?
  • Was an meinem Verhalten hat im heutigen Termin die Beziehung am meisten gestärkt? Wie könnte ich sie weiter stärken?
  • An welchem Verhalten meines Klienten konnte ich im heutigen Termin den Status der Beziehung ablesen? Was wurde mir mitgeteilt?

 

Literatur:

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Bilder: Junfermann Verlag (Zeitschriften-Titel), Belinda Fewings/Unsplash

Artikel von Stefanie Normann

Stefanie Normann hat 15+ Jahre Erfahrung in Unternehmenskommunikation und Marketing in internationalen Unternehmen sowie Agenturen in Hamburg und Wien, davon über 6 Jahre als Führungskraft. Die Arbeitsschwerpunkte bei Normann Consulting: Kommunikation, Führung, Teamentwicklung und Veränderungsmanagement. Hier im Blog gibt's regelmäßig Tipps und Updates zu diesen Bereichen.